Ilka Stitz

Historisches zu »Wer Fortuna trotzt«

In diesem Interview erzählt die Autorin Ilka Stitz von ihrer Leidenschaft zur Antike, warum ein Besuch in der damaligen DDR ihre Faszination für den ›römischen Bergbau‹ auslöste und was Schafsfelle mit Goldgewinnung zu tun haben.

von Alessa Schmelzer

Histo Journal: High Tech in der Antike — wenn Du dieses Thema in Deinen Lesungen ansprichst, sind die Zuhörer dann irritiert?

Ilka Stitz {IS}: Ja, durchaus. Vor allem, wenn ich behaupte, dass es keine Epoche gab, die der unseren so ähnlich war, wie die Antike. Die Technik oder Technologie ist da ja nur ein Teilaspekt. Das römische Reich war zum Beispiel die erste multikulturelle Gesellschaft, jeder, egal aus welchem Teil des Reiches, konnte römischer Bürger werden, sogar Kaiser, man denke an den Nordafrikaner Septimius Severus. Unter dem Dach Roms wurden alle Religionen akzeptiert, Hautfarben spielten keine Rolle. Natürlich unter der Bedingung, dass der Römische Kaiser als oberste Instanz anerkannt wurde, Steuern bezahlt wurden und die Interessen Roms nicht verraten wurden.

Was nun die Technik oder Technologie betrifft, so muss man sich vergegenwärtigen, dass die römische Technik bis ins 19. Jahrhundert hinein unverändert angewendet wurde. Ja, sogar bis heute werden noch Straßen oder Brücken der Römer benutzt und halten Verkehrsaufkommen stand, die zur Zeit der Römer noch nicht absehbar waren. Der Verlauf der antiken Straßen ist so optimal geplant, dass heutige Bundesstraßen oft noch dem antiken Straßenplan folgen. Wasserventile, mit denen das Wasser auf die Haushalte verteilt wird, funktionieren heute noch genauso wie die, die wir aus Pompeji kennen. Und sie sehen noch genauso aus, wenngleich sie jetzt aus anderem Material sind. Ein weiteres Beispiel ist das Arztbesteck, Skalpell, Pinzette, Ohrlöffelchen, alles gleicht den heutigen Geräten aufs Haar.Die Römer waren hervorragende Ingenieure, deren Begabung vor allem auf der Verbesserung vorhandener Technologie lag, beispielsweise der Griechen, aber auch der Kelten. Man denke allein an den Wasserleitungsbau und damit die Wasserversorgung in den Städten. Wasserleitungen und Thermen gab es schon bei den alten Griechen, aber die Römer erfanden zudem das Hypocaustum, ein Heizungssystem, und verfügten somit auch über warmes Wasser. Fließendes warmes Wasser in den oberen Etagen, Wand- und Fußbodenheizung – die Römer verstanden schon etwas von Lebensqualität. Apropos Wasserleitungen, auch dieses Thema kommt in meinem Buch vor. Denn im Prinzip hängt der Bergbau eng mit dem Wasser- und Tunnelbau zusammen, immer werden längere Strecken unterirdisch vorgetrieben. Und was die Vermessungsingenieure der Römer auf diesem Gebiet leisteten, ganz ohne Computertechnik und Laser, ist bewunderungswürdig. Die Eifelwasserleitung – mit knapp 90 Kilometern Länge die Drittlängste im Römischen Reichweist zum Beispiel ein konstantes Gefälle auf. Die Leitung wurde in einzelnen Baulosen von verschiedenen Trupps gleichzeitig gebaut, und am Ende wichen einzelne Tunnelabschnitte nur um etwa zwanzig Zentimeter voneinander ab, wenn überhaupt. Ein Wert, der auch heute, trotz Computereinsatz, vorkommen kann. Von den spektakulären Tunnelbauten oder dem Antikythera-Mechanismus zur Vorausberechnung der Planetenkonstellationen will ich jetzt gar nicht erst anfangen …

Histo Journal: Wie bist du ausgerechnet auf das Thema »römischer Bergbau« gekommen? Was fasziniert dich daran? Und was gab den Ausschlag das Thema Bergbau in einem Roman zu verarbeiten? Dein Protagonist Felix ist ja Bergbaucurator.

»Unter dem Dach Roms wurden alle Religionen akzeptiert, Hautfarben spielten keine Rolle.«

IS: Ursprünglich war es ein Praktikum bei der Ruhrkohle AG, während meiner Ausbildung zur Journalistin, das die Faszination am Bergbau weckte. Die Grubenfahrten haben sich tief in meinem Gedächtnis eingeprägt. Während des Praktikums lernte ich, dass die Welt der Bergleute eine sehr eigene ist. Wahrscheinlich schweißt die gefahrvolle Arbeit so tief unter der Erde die Menschen zusammen. Das hat mich sehr beeindruckt. Über den Bergbau der Antike wusste ich damals noch nichts. Bei einem Aufenthalt in der damaligen DDR fiel mir dann zufällig ein Büchlein über den antiken Bergbau in die Hände – man hat ja sein gewechseltes Geld damals hauptsächlich in Büchern angelegt. Und da lernte ich, dass die Römer tatsächlich Berge versetzten, um Edellmetalle zu gewinnen. Für mich alles Neuland, damals. Ja, dieses Buch hat mich sehr begeistert, so sehr, dass ich seither über dieses Thema recherchiere.Dabei gewann ich erstaunliche Erkenntnisse, die natürlich nicht alle in meinem Roman vorkommen. Beispielsweise die Geschichte vom Goldenen Vlies. Bis in die Neuzeit hat man in Vorderasien Gold mit diesen Vliesen, Schafsfellen nämlich, gewonnen. Sie werden in Flüssen ausgelegt und wegen des natürlichen Fettes der Wolle bleiben die Goldnuggets, die in fast allen Flüssen anzutreffen sind, darin hängen.Nach all den spannenden Fakten, die ich jahrelang zusammengetragen hatte, wurde der Wunsch immer drängender, diesem Thema einen Roman zu widmen. Und tatsächlich entstand dann »Wer Fortuna trotzt«. Ja, mein Held Felix ist Bergbaucurator. Die Aufgabenbereiche der Curatoren sind sehr vielfältig. Im Prinzip ist ein Curator {frei übersetzt}, jemand, der sich um etwas kümmert. Und da man über die Aufgaben des Wassercurators dank der Aufzeichnungen des prominenten Amtsinhabers Frontinus sehr genau Bescheid weiß, gestaltete ich das Amt des Bergbaucurators entsprechend. Da es Gesetze für Bergwerksbetriebe gab, lag es nahe anzunehmen, dass jemand die Einhaltung dieser Vorschriften kontrollieren muss.

Aussicht vom Emilianusstollen

Histo Journal: Auf deiner Website hast du Recherchebilder vom Emilianusstollen im saarländischen Wallerfangen {www.ilkastitz.de} eingestellt. Die Bilder legen den begründeten Verdacht nahe, dass du dich selbst unter Tage getraut hast. Wie hast du dich dort unten gefühlt?

IS: Nun ist der Stollen in Wallerfangen nicht sehr lang und auch nicht tief genug, als dass sich da größere Beklemmungen eingestellt hätten. Da gaben die modernen Bergwerke, die mehrere Kilometer tief liegen, mehr Anlass zur Beunruhigung.

Histo Journal: Warum ist gerade dieser Stollen so interessant?

IS: Der Stollen – oder besser gesagt, die Stollen, aber von den beiden vorhandenen ist bislang nur einer zu besichtigen – ist aus mehreren Gründen interessant. Zum einen ist es der einzige erhaltene antike Stollen Deutschlands. Die antiken Stollen wurden in der Regel bis in das Mittelalter, oder sogar bis in die Neuzeit ausgebeutet. Natürlich haben dann die jüngeren Bergbauaktivitäten die älteren vernichtet. Zu‐ dem kann man anhand der Arbeitsspuren das Alter eines Stollens nicht feststellen, da bis in das 19. Jahrhundert dieselben Werkzeugen und Techniken benutzt wurden. Der Stollen in Wallerfangen kann jedoch aufgrund eines einzigartigen Fundes ganz genau datiert wer‐ den. Am Eingang dieses Stollens fand man die so genannte Occupationsinschrift. Auf ihr ist zu lesen, dass am 7. März ein gewisser Emilianus mit den Arbeiten an diesem Stollen begann. Diese Beschilderung der Gruben war in der Antike Pflicht, geregelt durch ein Gesetz, die »Lex Metalla«. Üblicherweise waren diese Occupationsinschriften allerdings auf Holztafeln, daher sind sie nicht erhalten. Warum die Inschrift des Emilianusstollens in Stein gehauen worden ist, weiß man nicht. Aber in meinem Buch biete ich dafür eine Erklärung. In Wallerfangen hatten die Archäologen aber zusätzlich Glück, denn bei den Ausgrabungen an dem zweiten Stollen fanden sie eine vergessene Schaufel, anhand derer der Stollen eben‐ falls eindeutig in das zweite Jahrhundert nach Christus datiert werden konnte.

Histo Journal: Thema Nutzungsrechte: Dein Felix ist 192 n. Chr. in Germanien und Gallien unterwegs, also innerhalb römischer Provinzen. Die Bergwerke wurden von Pächtern betrieben. Wie wurde denn jemand Pächter? Und wie lange behielt er so eine Konzession?

»Mehrere antike Autoren haben die Zerstörung der Umwelt bzw. der Natur, beklagt, […] In dieser Hinsicht hat sich auch in mehr als zweitausend Jahren nichts verändert.«

IS: Das Pachtsystem unterlag einer ständigen Veränderung, bzw. Anpassung. Während des zweiten Jahrhunderts gehörten die Edelmetallgruben, und damit das geförderte Gold und Silber, dem Kaiser. Der wiederum verpachtete das Nutzungsrecht gegen einen prozentualen Anteil von 50 Prozent der Ausbeute an die Pächter, die sogenannten »publicani« – wie er im übrigen auch das sehr lukrative Recht, Steuern einzuziehen, an diese publicani verpachtete. Die Bergwerkspachten wurden in Romoffiziell versteigert, wobei aber in der Regel die bestehenden Pächter bevorzugt wurden, so dass ein Wechsel tatsächlich nur selten vorkam. Das ist sinnvoll, wenn man die Investitionen bedenkt, die ein Pächter zu Anfang aufbringen muss. Entsprechend schwierig war es, an diese in der Regel sehr lukrativen Pachten zu gelangen. Das ist die Kurzfassung, tatsächlich ist das System dieser »publicani« sehr kompliziert.

Histo Journal: Die Inschrift — wenngleich nicht immer in Stein gehauen — ist also durch die »Lex Metalla« vorgeschrieben. Wie hielten es die Römer denn mit Sicherheitsvorkehrungen? In Deinem Buch stürzt ein Stollen ein und begräbt einen Mann unter sich, wodurch Felix unter Mordgedacht gerät…

IS: Das war wirklich eine Überraschung, als ich auf diese »Lex Metalla« gestoßen bin.Dieses Gesetz wird heute auch »Das Gesetz von Vipasca« genannt, weil die bronzenen Gesetzestafeln im spanischen Vipasca gefunden wurden – dort war eines der bedeutendsten antiken Bergbaureviere, neben Dalmatien. In diesem Gesetz wird alles rund um die Betreibung eines Bergwerks geregelt. Zum Beispiel schreibt es vor, dass ein Bergwerk spätestens 25 Tage nach der Ersteigerung der Pachtrechte »In Besitz genommen« {okkupiert} werden muss und dieses schriftlich, mit der erwähnten Occupationsinschrift außen am Stollen dokumentiert werden muss. Das entspricht in etwa den heutigen Baustellenschildern, auf denen der Bauträger und der Architekt angegeben wird. Aber dieses Gesetz regelt auch in gewissen Umfang die Sicherheit der Bergwerke. Zum Beispiel, dass in regelmäßigen Abständen Gestein als Stütze stehen gelassen werden müssen, die sog. Bergfeste, auch wenn es sich dabei um erztragendes Gestein handelt. Oder entsprechende Stützen durch Holz oder Bruchsteinen errichtet werden müssen.Die »Lex Metalla« regelt vor allem die wirtschaftlichen Aspekte, also Ausdehnung, Bewirtschaftung, Pachtzahlungen, und sichert den reibungslosen Betrieb und damit kontinuierlich fließende Gelder nach Rom, in die Truhen des Kaisers. Aber tatsächlich wurden darüber hinaus weitere Sicherheitsvorkehrungen getroffen, die dem Schutz der Arbeiter dienten. Dies weiß man durch Abbildungen oder archäologische Funde. Dass Kopfbedeckungen zum Schutz gebräuchlich waren, beweisen Reliefs, auf denen Bergarbeiter die sogenannte phrygische Mütze tragen. Das sind Filzmützen, die nicht von ungefähr den Mützen unserer Gartenzwerge – deren Ursprung ja aus dem Bergbau kommt — gleichen. Diese Mützen wurden ausgepolstert und schützten so den Kopf des Bergmanns. In meinem Buch tragen Felix und Ateius allerdings Helme. Reste solcher Helme fand man in verschiedenen Bergwerken. Sie sind aus Esparto-Gras geflochten und äußerst wiederstandsfähig. Diese Grasart konnte sehr vielseitig verwendet werden, aus ihr wurden auch die Feuerschutz/Feuerlöschmatten der römischen Feuerwehr gefertigt, in der Antike, versteht sich.

Histo Journal: Ich stelle mir die Arbeit unter Tage ungemein anstrengend vor. Stickige Luft, Rauch der Fackeln, Kienspäne und Öllampen, Schweiß und Erderwärmung nicht zu vergessen… war sicher ein harter Job. Und erinnert gleichzeitig an die Mär vom armen Sklaven, der in den Minen einen grausamen Tod fand…

Beleuchtung im Stollen

IS: Ja, so kann man es sich vorstellen. Obwohl die Stollen und Schächte in der römischen Kaiserzeit recht geräumig sein konnten – in Wallerfangen kann man problemlos aufrecht gehen, ist es doch nichts für Klaustrophobiker. Die Temperatur in den Stollen ab einer gewissen Länge und Tiefe ist übrigens recht konstant, Sommers wie Winters liegt sie bei etwa 8 Grad, das ist auch bei den mittelalterlichen Stollen so und übrigens auch in Höhlen. Erst bei den Kilometertiefen modernen Gruben wird die Erdwärme spürbar. Rauch, überhaupt die Sauerstoffversorgung ist natürlich eine Herausforderung für den Bergbauingenieur. Die Sauerstoffversorgung wird durch die sogenannten Bewetterungsschächte gesichert, die in der Antike auch dem Fördern des Erzes dienen konnten. Es gab aber auch Parallelschachtanlagen, zwei nebeneinanderliegende Schächte, von denen einer zum Fördern, der andere zur Frischluftversorgung diente. Die Beleuchtung der Stollen erfolgte meist durch Öllampen, die man in Wandnischen stellte. Diese Nischen waren nicht rechtwinklig in die Stollenwand geschlagen, sondern im spitzen Winkel, damit das Lampenlicht breiter in den Stollen streute.

Histo Journal: Xenophon berichtet, dass Athener Bürger Leihsklaven im 5. und 4. Jahrhundert vermietet haben… Gab es auch Mietsklaven bei den Römern? Und was geschah, wenn diesen unter Tage etwas zustieß? War das auch in der »Lex Metalla« geregelt?

IS: In Römischen Bergwerken arbeiteten zum einen Strafgefangene. »Ad Metalla« – in die Minen, kam einer Verurteilung zum Tode gleich. Diesen Schwerverbrechern oblagen die anstrengendsten und gefährlichsten Arbeiten, auf ihr Leben kam es ja nicht an. Zum anderen arbeiteten dort Sklaven, die jedoch den Pächtern gehörten. Die genannten Leiharbeiter, also Mietsklaven, kenne ich nur im Zusammenhang mit den griechischen Bergwerken, beispielsweise denen von Laurion, die jedoch einige hundert Jahre früher ihre Blüte hatten. Tatsächlich haben in römischen Bergwerken auch viele freie Männer, mitunter auch Frauen, gearbeitet. Die spezialisierte Arbeit erforderte auch damals einen gewissen Grad an Facharbeiterwissen und das konnten nur freie Bürger sein, die entsprechend bezahlt wurden. Schließlich trugen sie Verantwortung, da von ihnen auch das Wohl und Wehe der Arbeiter unter Tage abhängen konnte.

Histo Journal: Wie muss sich ein Mensch des 21. Jahrhunderts die Erschließung römischer Bergwerke vorstellen?

IS: Damals wie heute gilt es als erstes, lukrative Erzadern zu finden. Diese Aufgabe erledigten Prospektoren. Diese Leute waren gleichermaßen Ingenieure wie Naturwissenschaftler. Wenn nicht die Erzader an der Erdoberfläche austrat und gut zu erkennen war, konnten die Prospektoren auch anhand der örtlichen Gegebenheiten, dass heißt, anhand von Gesteinsart und Felsformation, an der Art der ansässigen Pflanzen oder der Höhe und Dichte des Bodenbewuchses die Art des Untergrundes und damit die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Erze zu finden, erkennen. Das ist eine sehr faszinierende Sache.Einen kleinen Eindruck wie diese Erzsuche funktionierte, vermittelt der Ingenieur und Sachbuchautor Vitruvius, der in seinem Buch »De Architectura« schildert, wie man auf Trinkwasser prospektiert. Weiß man, wo Erze sind, schickt der Kaiser Fachleute – in der Regel Experten von der ansässigen Legion – die das Land vermessen und die grobe Infrastruktur anliegen. Dann wird das Gebiet versteigert. Bei Neuanlagen von Bergwerken – die hohe Investitionen erforderten — kamen bevorzugt die zum Zuge, die über einschlägige Erfahrungen, vor allem aber über das nötige Geld verfügten. Ihnen war es ein leichtes, die Hütten für die Bergleute zu errichten, und die Lagerräume für Material, Geräte und Werkzeug – und entsprechende Ersatzteile. Die Römer waren Praktiker und legten Wert darauf, dass defekte Geräte günstig und schnell repariert werden konnten, um bei einem Ausfall die finanziellen Einbußen so gering wie möglich zu halten. Alle Teile der Haspeln, Winden oder Schöpfräder konnten auseinandergebaut und schnell ersetzt werden, eine entsprechende Vorratshaltung der Teile sicherte den schnellen Austausch.War das alles erledigt, konnte der Betrieb aufgenommen werden.

»Die Wasserführung, also Entwässerung der Gruben, ist bis heute ein zentrales Problem beim Bergbau. Das aufgelaufene Wasser wurde durch Schöpfräder oder die berühmte Archimedische Schraube hinausgeschafft, letztere funktionierte allerdings nur bis ca. 3 oder 4 Meter und war in der Herstellung und Reparatur teuer.«

Histo Journal: Die Bergleute haben mit Schlägel, Eisen, Keilhauen und Kratzen gearbeitet. Schlägel und Eisen kennen wir noch heute aus dem Bergbau {seit dem 15. Jahrhundert wird dieses Symbol verwendet}. Was können wir uns unter Keilhauen und Kratzen vorstellen?

IS: Es gibt vielerlei Gezähe {Werkzeuge}, die – und das muss man sich einmal vorstellen – bis etwa 1850 gleich aussahen und in gleicher Weise genutzt wurden. Im Bergbau erhalten bekannte Werkzeuge oft einen speziellen Namen, wie Schlägel und Eisen für Hammer und Meißel. Manche Werkzeuge sind aber auch Spezialgeräte. Die Keilhauen beispielsweise dienten zum Abschlagen weicheren Gesteins. Es handelt sich um eine Art Kombigerät aus Hacke und Hammer.Kratzen sehen aus wie breite abgerundete Hacken und dienten hauptsächlich zum Befüllen von Körben und Wannen mit losem Gestein. Mehr zu diesem Thema findet sich auf der sehr informativen Internetseite. Dort gibt es auch Abbildungen der Werkzeuge.

Histo Journal: Hast Du Plinius’ und Diodors Schilderungen zum Bergbau studiert?

IS: Nur wenige antike Autoren befassen sich detailliert mit dem Thema. Und wenn, dann unter speziellen Gesichtspunkten. Mit den Griechen habe ich mich nicht im Einzelnen befasst, denn sie organisierten ihre Bergwerke anders als die Römer. Für das Bergbaurevier Laurion weiß man ziemlich genau, wie dort gearbeitet wurde. Mir schien es eine Art Gefangenenlager zu sein, die Sklaven, die dort arbeiten mussten, verließen die Gruben nur im Rahmen der Arbeit. An jedem Ausgang der Stollen stand ein Wächter, es muss ganz furchtbar gewesen sein. Allerdings herrschte zu der Zeit auch noch kein Arbeitskräftemangel, wie es zu römischen Zeiten oft beklagt wurde.Bei den Römern gibt es mehrere Quellen, Plinius beispielsweise erwähnt den Bergbau an mehreren Stellen seiner Naturgeschichte, der Historia Naturalis. Einmal im Rahmen der Edelsteine und Mineralien, dann natürlich im Zusammenhang mit den Edelmetallen. Dort beschreibt er, wie man Silber und Gold erkennt, nennt spezielle Fundorte, beschreibt Bergbaureviere und ihre Besonderheiten, sagt allerdings kaum etwas über Fördermethoden {»Historia Naturalis«, Bde. XXXIII und XXXIV}. Vitruv wiederum gibt in seinem Buch »De Architectura« viel Aufschluss über die Ingenieurskunst im Allgemeinen, hierzu findet man auch sehr detaillierte Schilderungen. Für den Bergbau wichtig sind seine Beschreibungen der unterschiedlichen Entwässerungssysteme. Die Wasserführung, also Entwässerung der Gruben, ist bis heute ein zentrales Problem beim Bergbau. Das aufgelaufene Wasser wurde durch Schöpfräder oder die berühmte Archimedische Schraube hinausgeschafft, letztere funktionierte allerdings nur bis ca. 3 oder 4 Meter und war in der Herstellung und Reparatur teuer. Deshalb wurden meist die billigeren und unkomplizierteren Schöpfräder verwendet, von denen oft mehrere im Einsatz waren, um das Wasser jeweils eine Etage höher und schließlich nach außen über Kanäle abzuführen. Und das wiederum habe ich nicht von den antiken Autoren erfahren, denn für die gehörte so etwas wohl zum gewöhnlichen Alltag, und wurde der literarischen Beschreibung für unwert befunden. Diese feinen Details fand ich in dem bemerkenswerten Buch von Peter Rosumek, Technischer Fortschritt und Rationalisierung im antiken Bergbau. Ein phantastisches Buch, ein El Dorado für Autoren sozusagen, das detailliert, anhand von Funden und historischen Überlieferungen, den Stand der Technik darstellt.

Histo Journal: Haben Archäologen in Wallerfangen auch solche Wasserräder gefunden, wie jene 1886 am Rio Tinto in Spanien/Andalusien? Die Ausgräber mochten kaum glauben, dass die Räder aus römischer Zeit stammen mochten, weil zu modern anmutend. Immerhin schöpften 16 riesige Räder Wasser aus 29 Metern Tiefe an die Oberfläche, knapp 70 Liter pro Minute. Und das alles bewegte ein {!} Arbeiter.

IS: Ja, kaum zu glauben, nicht wahr? Tatsächlich hat man in Spanien nicht  nur diese spektakulären Wasserräder gefunden, sondern auch am Ufer eines Flusses mehrere hintereinandergeschaltete Sägemühlen, die alle durch Wasserkraft betrieben wurden. Ebenso wasserkraftbetriebene Pochwerke, in denen das Erz kleingeschlagen wurde. Aber zurück zur Frage: nein, in Wallerfangen wurde dergleichen nicht gefunden. Bei Stollen in dieser geringen Tiefe genügten Rinnen am Boden des Stollens, in denen das Wasser ablaufen konnte.

Histo Journal: Ovid und Plinius üben scharfe Kritik am Bergbau. In seinen »Metamorphosen« schreibt Ovid: »[…] man forderte vom ertragreichen Boden nicht nur Saaten und die Nahrung, die er uns schuldig war, sondern man wühlte sich in die Eingeweide der Erde. Und die Schätze, die sie nah beiden Schatten der Styx verborgen hatte, gräbt man aus — Anreiz zu allem Bösen.« {met. I,138ff.} Plinius meint, man solle der Erde nur die nachwachsenden Produkte entwenden. Kannten die Römer den Gedanken der Nachhaltigkeit? Oder wogegen richtet sich die antike Kritik?

IS: Mehrere antike Autoren haben die Zerstörung der Umwelt bzw. der Natur, beklagt, zumeist scheint mir diese Klage jedoch eher ästhetische Gründe zu haben, sie richtete sich gegen die Zerstörung ihrer Idylle. Plinius kritisierte meines Wissens auch nicht nur den Bergbau als solches, sondern vor allem sein Ergebnis: Gold, Silber, Metalle, aus denen Münzen und Waffen hergestellt werden, aus denen wiederum die Gier und das Ringen um Macht erwuchsen … In dieser Hinsicht hat sich auch in mehr als zweitausend Jahren nichts verändert.

Histo Journal: Du hast gesagt, im Emilianusstollen wurde nicht nur Kupfer, sondern auch Azurit und Malachit abgebaut. Was hat man mit diesen Mineralien gemacht?

IS: Mineralien kommen oft im Verbund mit Metallen vor. Azurit und Malachit gehen mit Kupfervorkommen einher. Natürlich ist die Ausbeutung des Metalls natürlich in erster Linie Ziel der Bemühungen. Aber wenn dabei auch diese Farbmineralien anfallen, baut der geschäftstüchtige Römer auch diese ab. Erst recht, wenn die Kupferadern bereits erschöpft sind, bietet sich dadurch doch eine gute Gelegenheit, das bereits vorhandene Equipment weiter gewinnträchtig einzusetzen. Azurit ist ein blaues, Malachit ein grün-türkises Gestein, aus denen jeweils Farbpigmente hergestellt wurden. Solche Farbpigmente wurden zum Beispiel bei den Wandmalereien der römischen Villen verwendet. Und anhand der Farbpigmente lässt sich bei Wandgemälden sogar nachweisen, woher die Farbpigmente stammten. Daher wissen wir, dass das Wallerfangener Azurit bei der Wandbemalung der nahegelegenen Villa Borg verwendet wurde.

Histo Journal: Hast Du die »Villa Borg« zu Recherchezwecken ebenfalls besucht?

Villa Borg

IS: Ja, natürlich, mehrere Male sogar. Ich habe die Gegenden, in denen mein Roman spielt, alle besucht. Die Villa Borg ist ja die erste Adresse, um sich ein Bild von einer römischen Villa in dieser Region zu machen. Und wenn man schon in der Gegend ist, sollte man auch dem archäologischen Park von Bliesbrück, an der Deutsch-Französischen Grenze einen Besuch abstatten.

Histo Journal: Deinen Felix verschlägt es in die Colonia Agrippinensis. Warum nicht nach Xanten oder Bonn?

IS: Weil ich in Köln wohne, die antike Geschichte der Stadt gut kenne und es ausgezeichnete Forschungsberichte darüber gibt. Und darüber hinaus passte es gut in die Geschichte, Köln war damals die Provinzhauptstadt, in der der römische Statthalter residierte. So bot es sich an, hier auch Felix’ Familie anzusiedeln.

Histo Journal: In der Kölner Altstadt stießen Archäologen bei Ausgrabungen unlängst {2003} auf ein römisches Schiffswrackteil. Wie bist du darauf gekommen, den Untergang dieses Schiffes in deinen Roman aufzunehmen? Und passt es denn zeitlich?

IS: Als ich die Nachricht in der Zeitung las, war ich begeistert und dachte gleich daran, diesen Fund in meinem Roman zu verwerten. Obwohl, Du hast es bemerkt, es vermutlich schon im 1. Jahrhundert n.Chr. gesunken ist. In diesem Fall sah ich das Schiff eher exemplarisch. Sein Fund bewies, dass in der Antike ein Schiff quer zur Fahrrinne sinken konnte.Zunächst sah es allerdings nicht danach aus, als würde sich eine Möglichkeit finden. Ich wollte ja nicht auf Biegen und Brechen, völlig unmotiviert, ein Schiff versenken. Aber dann ergab sich die Chance: Das Schiff spielt nun im Showdown eine wichtige, wenngleich vernichtende Rolle.QV: Aktuell arbeitest du an einem neuen historischen Roman. Worauf dürfen wir uns freuen? Magst du darüber schon etwas verraten?IS: Es wird diesmal ein Roman sein, der nicht in der Antike spielt, sondern im ausgehenden Mittelalter bzw. in der frühen Neuzeit. Es geht um Spionage, deutsch-italienische Beziehungen, den Kontrast zwischen deutschem Mittelalter und italienischer Renaissance, natürlich spielt das Thema Bergbau, wie könnte es auch anders sein, eine wichtige Rolle … und der Roman erhellt, was es mit den Zwergen im Bergbau auf sich hat.

Histo Journal: Vielen Dank!

Special: Die Vertonung dieses Interviews ist auf der Website der Autorin zu hören.


»Wer Fortuna trotzt«
Ilka Stitz

Im Mittelpunkt der Handlung des Romans »Wer Fortuna trotzt« steht der Römer Felix. Als Bergbaucurator muss er Bergwerke in Germanien und Gallien inspizieren. Kaum ist er vor Ort, geschieht ein Mord und Felix gerät unter Verdacht. Um seine Unschuld zu beweisen, flieht er gemeinsam mit dem Sklaven Ateius in die Colonia Agrippinensis, obgleich er nicht weiß ob er diesem trauen kann…